Heimatkreis Braunau / Sudetenland e.V.

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1918–1938

Braunau in der Ersten Tschechoslowakischen Republik 1918–1938 (ČSR)

 

Mit dem Zusammenbruch des Habsburger-Reiches eröffnete sich für die Tschechen und Slowaken die Möglichkeit, am 28. November 1918 in Prag einen eigenen Staat, die Tschechoslowakische Republik (ČSR), auszurufen, und zwar unter Einbeziehung der inzwischen von tschechischen Milizen besetzten überwiegend deutsch besiedelten Gebiete. Dr. T. G. Masaryk und Dr. E. Beneš hatten die ČSR bereits 1917 im Exil in den USA und Großbritannien proklamiert und im Vertrag von Pittsburgh den in die USA emigrierten Slowaken eine Autonomie der Slowakei innerhalb des künftigen tschechoslowakischen Staates zugesichert.

Landkarte

Demgegenüber erklärte die aus den deutschen Abgeordneten des Österreichischen Reichsrats gebildete provisorische Nationalversammlung der neuen Republik Deutschösterreich am 29. November 1918 ihre Zuständigkeit für die deutschsprachigen Gebiete der böhmischen Länder, insbesondere für die inzwischen gegründeten Provinzen „Deutschböhmen“ und „Sudetenland“. Friedliche Demonstrationen am 4. März 1919 für das Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen wurden vom tschechischen Militär niedergeschlagen – mit 54 getöteten deutschen Demonstranten. 

In Braunau verliefen die Kundgebungen ohne Zwischenfälle. Bürgerwehren wurden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegründet, zum Teil aus heimgekehrten Soldaten, die in Braunau ihre Wachstube in der Knabenbürgerstube einrichteten. Noch vor Ende des Jahres besetzte tschechische Milizen und schnell zusammengestellte Sokol-Verbände die Stadt Braunau. Alle in Privatbesitz befindlichen Waffen mussten abgeliefert werden. Die Preise von Lebensmitteln steigerten sich wie zu Kriegszeiten. Es gab für die Bewohner festgelegte, wöchentliche Quoten für Mehlprodukte, entsprechend ihren ausgeübten Tätigkeiten. Im Verlauf des Jahres initiierten humanitäre und religiöse Organisationen in den USA für die notleidende Jugend in Europa Hilfssendungen. Im November 1919 erhielten besonders unterernährte Kinder Kakao, Bohnen, Speck und Fett, Mehl, Reis, gesüßte Milch und Lebertran. 

Am 15. Februar 1921 fand eine Volkszählung statt, aus der ersichtlich wurde, dass der Krieg und die Lebensbedingungen zu Beginn der Ersten Tschechoslowakischen Republik am Absinken der Bevölkerungszahlen schuld waren. In der Stadt Braunau, die im Jahr 1900 etwa 7600 Einwohner zählte, wurden 1921 1206 Einwohner weniger erfasst. In der Volkszählung des Jahres 1921 lebten in den beiden Gerichtsbezirken dieser Region, Braunau und Wekelsdorf, insgesamt 37.625 Einwohner: davon 34.595 Deutsche, 2.354 Tschechen und 726 Ausländer.

Mit dem Vertrag von St. Germain im September 1919 wurde zwischen den Hauptsiegermächten und der ČSR ein Minderheitenschutz-Vertrag abgeschlossen, der von der neuen Regierung jedoch nicht eingehalten wurde. Es gab eine „revolutionäre“ tschechoslowakische Nationalversammlung, in der kein Deutscher, Ungar, Ruthene oder Pole vertreten war, die jedoch am 19.2.1920 die erste tschechoslowakische Verfassung ohne Legitimation durch ein Parlament verabschiedete. Sie erweckte den Anschein einer „tschechoslowakischen Nation“, die zur „staatstragenden Nation“ erklärt wurde, während die tatsächlich in der ČSR lebenden Nationalitäten keine Erwähnung fanden. Die neue Verfassung folgte grundsätzlich den westeuropäischen Vorbildern einer parlamentarischen Demokratie, eine „Art Schweiz“, wie Beneš es in St. Germain versprochen hatte, entstand für die 13,6 Millionen Einwohner (Stand der Volkszählung von 1921) jedoch nicht. Zu den Einwohnern zählten in der gesamten ČSR 6,8 Mio Tschechen, 3,1 Mio Deutsche und 2 Mio. Slowaken, 0,7 Mio Ungarn, 0,5 Mio Ukrainer und 0,1 Mio Polen.

Bei den ersten Wahlen 1920 bis etwa 1929 blieb die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei im Braunauer Land wie im gesamten Staat die stärkste sudetendeutsche politische Kraft und zog 1920 mit 31 Abgeordneten ins Prager Parlament, gefolgt vom Bund der Landwirte mit 11 Mandaten, der Deutschen Nationalpartei (10 Mandate), der Deutschen Christlich-Sozialen Volkspartei (DCV) mit 10 Mandaten der neu gegründeten Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (5 Mandate) und der Deutschdemokratischen Freiheitspartei mit 5 Mandaten. Die sogenannten „aktivistischen“ Parteien arbeiteten konstruktiv im Parlament mit. 1926 traten deutsche Minister in das Kabinett Švehla ein: der Gymnasialprofessor Dr. Franz Spina vom Bund der Landwirte, der vorher eine kurzzeitige Anstellung in Braunau hatte, und Mayr-Harting von der deutschen Christlich-Sozialen Volkspartei als Justizminister. Ab 1929 übernahm für die deutschen Sozialdemokraten Dr. Ludwig Czech als Minister für soziale Fürsorge Regierungsverantwortung. Im ersten Parlament stellten die Deutschen 72 von insgesamt 300 Abgeordneten.

Nicht nur die Parteien, auch das Vereins- und Schulwesen trennte sich im Allgemeinen nach Volkszugehörigkeit. Für das friedliche Zusammenleben der Nationalitäten erwies sich das sogenannte „Kleine Schulgesetz“ von 1920 als problematisch. Die Anhebung der maximalen Klassenstärke von 40 auf 60 Schüler führte in der ČSR zu einer Reduzierung des deutschen Volksschulwesens um ein Drittel, d.h. ein Verlust von 4.000 Schulklassen bis 1934. Andererseits wurden in Braunau und vielen Landgemeinden tschechische Minderheitsschulen mit Klassen von nur 4 bis 5 Schülern eingerichtet, so zum Beispiel in der Knabenbürgerschule in Braunau. Ergebnislos wurden in Braunau im Oktober 1921 Schulstreiks durchgeführt. Die im Friedensvertrag von 1919 verankerte Klausel zum Schutz der nationalen, rassischen und religiösen Minderheiten kehrte sich in ihr Gegenteil um, da 1.400 tschechische Minderheitenschulen gegründet wurden, also etwa 90 Prozent, aber nur rund 10 Prozent für deutsche, ungarische und polnische Kinder. Zusätzlich verschärft wurde die Situation dadurch, dass Tschechisch zur Staatssprache erklärt wurde und eine Sprachprüfung notwendig wurde, um im Staatsdienst bleiben bzw. in diesen eintreten zu können. Das galt für Beamte ebenso wie für Angestellte und Arbeiter staatlicher Betriebe. Viele deutsche Staatsangestellte wurden aufgrund mangelnder tschechischer Sprachkenntnisse entlassen und stattdessen tschechische Beamte aus dem Landesinneren in die weit überwiegend deutschbesiedelten Grenzgebiete geholt.

Bei der ohne deutsche Beteiligung durchgeführten Bodenreform kamen 30 Prozent des deutschen Gebietes an nichtdeutsche Verwalter bzw. Besitzer. Befördert durch die Weltwirtwirtschaftskrise 1929, die sich stark auf die sehr industrialisierten Sudetengebiete auswirkte, und die Bevorzugung tschechischer Unternehmer bei Staatsaufträgen, wuchs die Arbeitslosigkeit und damit auch die Armut in den Sudetengebieten unverhältnismäßig auf bis zu 35 Prozent der Erwerbsfähigen. Fabriken wie z.B. die Flachsgarnspinnerei in Ober-Adersbach wurden geschlossen oder die Arbeitszeit auf ein Minimum verkürzt. Entnationalisierungsmaßnahmen der Regierung wie z.B. ein Erlass, der festlegte, dass Firmen in deutschen Siedlungsgebieten erst dann Aufträge erhielten, wenn sie tschechische Arbeiter beschäftigten, verschärften die Situation. Auch die Bauern und der Handel hatten Einbußen, da die Kaufkraft der Industriearbeiterschaft beträchtlich sank. Der Prager Soziologe Eugen Lemberg bezeichnete die Folgen der Weltwirtschaftskrise als einen Prozess der „Desintegration zweier Völker im selben Lande“. Die rasante Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage führte auch zu einer politischen Radikalisierung. Die deutsche Bevölkerung setzte immer weniger Hoffnung in die an der Prager Regierung beteiligten deutschen Parteien, die auch durch Petitionen an den Völkerbund von 1920-31 keine entscheidenden Verbesserungen bewirken konnten. Die „negativistischen“ deutsch-nationalen Parteien erhielten immer mehr Zulauf, bis sich in den 1930er Jahren die „Sudetendeutsche Partei“ als größte Sammelbewegung der Deutschen in der ČSR etablierte.


 

Literaturhinweise:

Habel, Fritz Peter: Die Sudetendeutschen. Studienbuchreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat. Bd. 1. München 1992.

Suppan, Arnold: 1000 Jahre Nachbarschaft. „Österreicher“, „Tschechen“ und „Sudetendeutsche“. Wien 2023.

Weisser, Otto: „Das Braunauer Land im politischen Geschehen von 1918 bis 1933“, in: Das Braunauer Land. Ein Heimatbuch des Braunauer Ländchens, des Adersbach-Wekelsdorfer und Starkstädter Gebietes. Forchheim 1971, S. 176-185.