Heimatkreis Braunau / Sudetenland e.V.

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Erster Weltkrieg

Schicksale aus dem Braunauer Ländchen während des Ersten Weltkrieges

 

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs stellte für alle Bewohner des Braunauer Ländchens einen tiefen Einschnitt dar und brachte den österreichischen und böhmischen Ländern durch die damit einhergehende Ernährungs- und Energiekrise die größte humanitäre Katastrophe ihrer modernen Geschichte. Bereits am 26. Juli 1914 wurde die teilweise Mobilisierung des 9. Armeekorps in Braunau und auf den Dörfern bekanntgegeben. Neben heller Begeisterung zeigte sich tiefe Niedergeschlagenheit. Schon am nächsten Tag rückten die meisten der Einberufenen ein und dachten, dass der Krieg spätestens bis Weihnachten zu Ende sei. Viele Braunauer kämpften zu Beginn des Krieges an der Karpatenfront, später an der Isonzofront in den Julischen und Karnischen Alpen in Südtirol. Anfang 1915 hatten die Mittelmächte nach der erfolgreichen Masurenschlacht in den Karpaten eine weitere Offensive eröffnet, um an der Ostfront den russischen Druck auf das verbündete Österreich-Ungarn zu verringern. Rund 130.000 habsburgische Soldaten wurden allein seit November 1914 in der zur Festung ausgebauten Stadt Przemysl, heute in Polen, mit ihrem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt von den Russen belagert und mussten im März 1915 nach einem gescheiterten Ausbruchsversuch in Richtung Lemberg kapitulieren. In dem dünn besiedelten Gebiet, das heute im Westen der Ukraine liegt, gestaltete sich die Versorgung der Truppen sehr schwierig, die Zahl der Opfer war auch aufgrund der Kälte und der Krankheiten hoch. Bis zum April 1915 waren in den Karpaten 300.000 österreichische Soldaten umgekommen. 

Bereits der 2. Dezember 1914 wurde zum ersten Kriegswaisentag erklärt. In Braunau mehrten sich die Todesnachrichten, die aus den fernen Ländern Serbien und Galizien kamen. Im Januar 1915 wurden die Hafervorräte der Bauern beschlagnahmt und seit August gab es die Brotkarte, was zu einer Rationierung dieses Lebensmittels führte, die bis ins Jahr 1921 andauern sollte. Einige Damen der Braunauer Gesellschaft organisierten die Aktion „Kinder zu Gast“, mit der 264 unterernährte Kinder für einige Zeit nach Ungarn, Niederösterreich oder nach Leitomischl zu Bauernfamilien geschickt werden konnten, die sie wieder auffütterten.

Im Frühjahr wurde eine patriotische Kriegsmetallsammlung organisiert. Alles, was aus Kupfer, Aluminium, Zink, Blei, Nickel oder Messing war, sollte abgegeben werden. Der Eintritt Italiens ins Kriegsgeschehen im Mai 1915 zerstörte abermals Hoffnungen auf ein baldiges Ende des Krieges. Flüchtlinge aus Südtirol wurden in den Dörfern versorgt. 

Flüchtlinge

Flüchtlinge aus Livinallongo/Col di Lana in Böhmen während des Ersten Weltkrieges

Foto: Museum zum Ersten Weltkrieg auf der Marmolata (marmolada grande guerra)

Auf den Feldern zwischen Krims und Märzdorf entstand ein großes Kriegsgefangenenlager, das 40.000 Russen und Serben beherbergte, die auch für Erntearbeiten eingesetzt wurden. Als darin Flecktyphus und Cholera ausbrach, schaffte man es, dass die Seuche nicht auf die Stadt übersprang. Beim Einberufungstermin, der für den 2. Oktober 1915 angesetzt war, gab es Verzögerungen, weil zahlreiche Frauen aus Braunau einem Aufruf zu einer Hungerdemonstration gefolgt waren. Mit der Zuteilung von Brot und Mehl wurde es immer schlechter. Der Verpflegungsausschuss des Bezirkes Braunau setzte bei Requirierungen von Getreide häufig Militärangehörige mit ein, die mit Spießen und Bajonetten mögliche Verstecke aufzuspüren versuchten. Wer Kartoffelvorräte verheimlichte, dem drohten 20.000 Kronen Strafe oder sechs Monate Gefängnis.


 

Etwa zwei Millionen Soldaten des Habsburgerreichs gerieten durch ihren Einsatz an der Front in Galizien in russische Gefangenschaft, dazu gehörten auch viele Braunauer.


 

Weltkarte

Gemalte Karte des österreichischen Kriegsgefangenen Hans Katholnig in Sibirien 1918, in: https://www.hdgoe.at/1918_sibirien (Haus der Geschichte Österreichs)

Wer Deutsch oder Ungarisch sprach, kam oft in sibirische Lager, von wo die Heimkehr besonders schwierig war. Aus Alois Köhlers Gedichten, die er voll Sehnsucht nach der Heimat Braunau und der Familie schrieb, lässt sich erschließen, dass er in Russki Ostrow noch nach dem Krieg interniert war. Es ist eine kleine, öde Insel, die der Halbinsel von Wladiwostok vorgelagert ist. Die Lebensbedingungen in den sibirischen Lagern waren schwer. Insgesamt starb fast eine halbe Million österreichisch-ungarischer Kriegsgefangenen. Sie wurden zu Zwangsarbeit in der Landwirtschaft, Bergwerken und Fabriken sowie für den Eisenbahnbau herangezogen. Einen Einblick in die Lebenssituation der Gefangenen kann man durch die Aufzeichnungen der schwedischen Rot-Kreuz-Schwester Elsa Brandström (1888-1948) erhalten, die ihre Erlebnisse in ihrem Buch „Unter Kriegsgefangenen in Rußland und Sibirien – 1914-1920aufschrieb.

Elsa Brandstroem

Die schwedische Rotkreuz-Schwester Elsa Brandström; Transport von Kriegsgefangenen nach Sibirien (Fotos aus E. Brandström: Unter Kriegsgefangenen in Rußland und Sibirien -1914-1920. Leipzig 1922)

Die Lager bestanden aus einfachen Holzhütten oder aus Erdbaracken. Es mangelte an Betten, Decken und anständiger Kleidung. Manche Soldaten mussten in Sommeruniform durch den sibirischen Winter stapfen, andere hatten sogar nur Schlafanzüge an. Kälte und Feuchtigkeit setzten den Gefangenen zu, viele starben an Krankheiten wie Flecktyphus oder Durchfall. Bereits der Weg in die Lager war für die Kriegsgefangenen eine Tortur, die viele nicht überlebten. In Viehwaggons wurden die Gefangenen oft mehrere Wochen lang ins russische Hinterland gefahren. Die Verpflegung unterwegs war kaum ausreichend und bereits während dieser Fahrten brachen die ersten Epidemien aus. Wer am Bestimmungsort ankam, hatte meist noch mehrere Kilometer Fußmarsch ins Lager vor sich. Elsa schaffte es als „Engel von Sibirien“, die Sterblichkeit durch eine verbesserte Organisation und Versorgung von 80 auf 18 Prozent zu senken und erhielt dafür den Friedensnobelpreis. Den Gedichten, die Alois für eine Faschingszeitung der Gefangenen schrieb, lässt sich jedoch auch entnehmen, dass es in bescheidenem Maße die Möglichkeit kultureller Betätigung gab. Laut Elsa Brändström gelang es bis zum Spätherbst 1918 Deutschland und den anderen Mittelmächten, etwa 315.000 deutsche, 725.000 österreichisch-ungarische Kriegs- und Zivilgefangene sowie 25.000 türkische Kriegsgefangene heimzuholen. In den Jahren 1919/21 kamen noch einmal 49.000 deutsche, 30.000 deutsch-österreichische, 170.000 tschecho-slowakische und 120.000 ungarische Kriegs- und Zivilgefangene hinzu.


 

Erdbaracke
Aushebung einer Erdbaracke

Erdbaracken im Bau sowie das Innere einer Baracke (Fotos aus E. Brandström: Unter Kriegsgefangenen in Rußland und Sibirien -1914-1920. Leipzig 1922)

Manche von ihnen versuchten sich auf abenteuerlichen Wegen in Richtung Westen durchzuschlagen und gerieten zwischen die Fronten des russischen Bürgerkriegs. Die österreichische Regierung Staatskanzler Renners in Wien konnte den in Sibirien festsitzenden Kriegsgefangenen kaum helfen. Reguläre Evakuierungsmethoden waren im Gefolge der Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa schwer durchführbar. Hinzu kam das Misstrauen der Heimatländer gegenüber den Gefangenen, bei denen man bolschewistische Infiltration befürchtete und ihnen deshalb sogar „vaterländischen Unterricht“ nach der Rückkehr auferlegte. Bekannt ist jedoch, dass sich unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Held von Reichstadt bei Böhmisch Leipa ein Arbeitsausschuss zur Heimbeförderung von Kriegsgefangenen bildete. Die tschechoslowakische Regierung schickte eine Expedition nach Wladiwostok und in die sibirischen Lager. Eine Sammlung zur Finanzierung dieser Kommission wurde eingeleitet. Erst im Herbst 1919 gab die Entente den Mittelmächten die Erlaubnis, die Gefangenen aus Ostsibirien heimzuholen. Die Organisation von Schiffspassagen aus Wladiwostok wurde durch eine Spende der USA von 900.000 Dollar möglich.

Wenige Zeitzeugenberichte sind überliefert: Franz Braun aus Schatzlar kehrte erst Jahre nach dem Ende des Krieges aus der Gefangenschaft zurück. Als Soldat des k.u.k Militärs kam er in russische Kriegsgefangenschaft im fernen Wladiwostock und machte sich nach der Entlassung zu Fuß auf den Weg nach Hause durch das von der bolschewistischen Revolution gebeutelte, ehemalige Zarenreich. Bekannt ist lediglich, dass er zwei Jahre unterwegs war und kurz vor Erreichen seiner Heimat auf polnischem Gebiet erkrankte. Auch Robert Krause aus Merkelsdorf machte sich zu Fuß nach seiner Gefangenschaft bei Kosaken im fernen Astrachan am Kaspischen Meer auf den mühevollen Rückweg in die Heimat.

Dasselbe Schicksal teilten Anton Birke aus Rosental und Alois Köhler aus Braunau, die sich nach ihrer Entlassung 1920 in Wladiwostok für den Seeweg nach Hause entschlossen. Von der ersten Station Japan ging es über San Francisco per Schiff weiter an der Küste Mexikos entlang, durch den Panamakanal und in die Karibik bis nach Norfolk in Virginia in den Vereinigten Staaten von Amerika. Hier wartete das Transportschiff „Deutschland“ mit 6.000 Mitreisenden. Der Atlantische Ozean lag schließlich hinter ihnen, als das Schiff die Meerenge von Gibraltar durchfuhr. Wie sie von dort die Heimat in Böhmen erreichten, ist leider nicht überliefert.


 


 

Heimweh (Alois Köhler)

Manche Nacht auf harter Pritsche

hab ich schlaflos zugebracht,

habe heimwehkrank gelegen

und kein Auge zugemacht.


 

Müdigkeit lag auf den Lidern,

die der blasse Mondschein traf.

Doch das heiße Weh im Herzen

Wehrte dem ersehnten Schlaf.


 

Oft erst, wenn der Morgen graut,

zwang ich das Gesicht zur Wand.

Dann erst führten schwere Träume

Mich weit weg ins Heimatland.


 

Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft (Alois Köhler in Colon, Panama)

Sinnend lehn‘ ich an des Schiffes Rand,

blicke traumversunken in die Wellen.

Traute Bilder aus dem Heimatland

grüßend sich mir leise zugesellen.


 

Bilder, zeitentrückt und doch mir nah,

im Erinnern dieser Stunde leben,

als ich mich in jungen Jahren sah

von der Liebe hellem Glanz umgeben.


 

Wunden Herzens denk´ ich heut zurück

an die schwersten Jahre meines Lebens,

die sich bitter drängen in mein Glück,

und die Ziele meines heißen Strebens.


 

Freudenlos und ohne Sonnenschein,

grausam losgelöst von meinen Lieben,

war mit meinem Schmerz ist stets allein

und bin einsam allezeit geblieben.


 

Heimkehr! Jahrelang geträumter Traum,

wirst du wirklich in Erfüllung gehen?

Ach, mein müdes Herze faßt es kaum,

daß so nahe ist das Wiedersehn!

Literaturhinweise: 

Brandström, Elsa: Unter Kriegsgefangenen in Rußland und Sibirien 1914-1920. Leipzig 1922.

Haase, Baldur: Rosental. Ein Rückblick auf die wechselvolle Geschichte des Dorfes Rosental/Rozmitál im Braunauer Ländchen. Forchheim 2022.